Yella’s Covid Story in voller Länge

November 2020

Infektion. Erkrankung an der Lungenkrankheit COVID-19 „2019-nCoV neuartiges Corona-Virus“. Harmlos, kaum Symptome, ich nehme sofort nach Ablauf der 10-tägigen Quarantäne die Arbeit und auch Sport wieder auf. Ein Lungenröntgen, das zur Sicherheit gemacht wird, ist unauffällig.

April 2021

Meine Beine sind schwer wie Blei, ich habe oft Mühe, vom Sitzen wieder aufzustehen. Ich bin antriebslos, empfinde viel weniger Freude, keines meiner Hobbies (z.B. Zumba, Puzzlespielen, kreatives Arbeiten) macht mir Spaß. Ich versuche, mit Sport entgegenzuwirken. Es wird immer schlimmer. Die ersten Ansätze auf der Suche nach einer Erklärung gehen in Richtung Burn-Out-Syndrom oder Schilddrüsenprobleme. Ich stolpere über einen Artikel, in dem eine junge Frau schildert, wie Long Covid sie aus der Bahn geworfen hat, und beginne, selbst in diese Richtung zu recherchieren.

Mitte April ereilt mich eine Trigeminusneuralgie – eine linksseitige Gesichtsnervenentzündung. Sie äußert sich in einem ganz plötzlich auftretenden, stechenden, brennenden Schmerz. Er kehrt wellenartig in 10-minütigen Abständen wieder. Ich kann nicht mehr arbeiten, kann nichts tun, weiß nicht, was es ist. Die Erklärung Migräne passt nicht. Der Besuch von drei Zahnärzten und einem Ambulatorium ergeben nichts. Es vergehen Tage, bis ich durch eine Google-Suche auf die richtige Spur komme und zu einem Neurologen gehe. Ihm schildere ich auch die anderen Symptome, und er diagnostiziert die Trigeminusneuralgie – gegen die es zum Glück ein Medikament gibt, das die Schmerzen tilgt – sowie Post Covid. Die Gesichtsnervenentzündung wird mich monatelang begleiten.

Mai bis Oktober 2021

Die vielfältigen Symptome verschlimmern und verdichten sich und haben Auswirkungen auf alle Bereiche des Lebens, auch auf die Arbeit.

Symptome
  • Muskelschwäche und Erschöpfung – Sport ist illusorisch, es ist als würde man ständig einen Rucksack voller Ziegelsteine mit sich herumtragen; jeder Schritt fällt schwer, der Akku ständig leer.
  • Antriebslosigkeit, Lust- und Freudlosigkeit, die Hobbies machen allesamt keinen Spaß mehr;
  • Standardsituationen belasten auf übergebührliche Weise, gehen mit Nervosität einher, ich kann fast nur daran denken, schlafe schlecht, träume davon und dass etwas schiefgeht; nach Urlauben Angst vor Arbeitsbeginn;
  • Mehr, stärkere Verstimmungen, in kürzeren Abständen, starke Stimmungsschwankungen, Sprunghaftigkeit; Aggression; hoher Grad an Verletzlichkeit und Kränkungsgefühl;
  • permanentes Gefühl der Überforderung, egal ob Job oder Hausarbeit;
  • Konzentrationsstörungen – ein soeben gefasster Gedanke oder Begriff ist weg, wenn ich ihn aussprechen will, er fällt oft wie in ein Loch; Zeitung, Zeitschriftenartikel oder ein Buch zu lesen fällt schwer, ich ermüde sehr schnell und kann den Inhalt nicht erfassen;
  • Aussetzer, Brain Fog – ich gebe z.B. Kaffeesud in den Trichter, ohne vorher den Filter eingelegt zu haben oder die ganzen Bohnen statt des gemahlenen Kaffees; ich vergesse gesetzte Handlungen komplett; ich habe öfters Probleme, die Uhr zu lesen, deute die Zeiger „verkehrt herum“ oder starre darauf, ohne die Uhrzeit benennen zu können;
  • Wortfindungsstörungen – auch Fehler beim Schreiben, ich verdrehe und verwechsle Buchstaben, lasse sie komplett weg oder füge einen hinzu;
  • Reizüberflutung – an besonders schlechten Tagen vertrage ich weder Radio noch Fernseher, auch kein Lesen, Rätsellösen, und keine kreativen Tätigkeiten wie Malen oder Puzzeln; es ist als wäre das Hirn zu; dann kann ich tun was ich will, es geht gar nichts, also sitze ich in der Stille und starre in die Luft; Musik sorgt für Überreaktionen in Form von befremdlichen Emotionsausbrüchen;
  • weitere kognitive Einschränkungen – Geselligkeit, Unterhaltung mit Anderen strengt mich extrem an, auch emotional, ich schalte teilweise sozusagen auf „Stand By“, oder muss aufstehen, an die frische Luft gehen, etwas anderes tun, mich aus der Situation herausnehmen;
  • Anormaler Puls – dieser schießt bei geringster Anstrengung in die Höhe, etwa wenn ich ein paar Stufen steige, auf bis zu 120 Schläge pro Minute;

Darüber hinaus immer wieder auftretend:

  • Schlafstörungen
  • Herzrasen
  • Druckgefühl auf der Brust
  • Atemnot und Schwindel
  • Panikattacken
  • Ameisenkribbeln in den Gliedmaßen oder auf dem Kopf
  • Verdauungsstörungen, Hungergefühl oft durcheinander, diffus
  • Sehstörungen auf einem Auge, indem ich plötzlich verschwommen sehe, nicht scharfstellen kann
  • Geschmacksstörungen bei Süßem, das wie Stallmist schmeckt, sowie Fisch, dessen traniger Geschmack ins Unerträgliche übersteigert ist; zeitweise tritt Salz extrem hervor und überlagert alle anderen Aromen;

Ich muss es mir eingestehen, dass es so nicht weitergeht. Ich führe ein offenes Gespräch mit meinem Arbeitgeber und den engsten Kollegen. Ich hatte das riesengroße Glück eines verständnisvollen, unterstützenden Umfelds.

Ein Termin beim führenden Experten für Long Covid, den ich im Mai anfrage, ist erst Ende September möglich. Bis dahin begebe ich mich auf die Suche nach anderweitiger Hilfe.

Die Stationen

Ein Dreh- und Angelpunkt ist die Selbsthilfegruppe „Long Covid Austria“, der ich auf Facebook betrete und in der ich bis heute aktiv bin.

Spezialisierte Physiotherapie und Pacing – in der Facebook-Gruppe finde ich eine auf Long Covid spezialisierte Physiotherapeutin. Sie bringt mir u.a. Mental- und Achtsamkeitsübungen bei, lehrt mich Pacing https://www.neurostingl.at/2021/09/16/pacing/ und rechnet meine individuelle Pulsgrenze aus. Bei egal welcher Tätigkeit, ob Staubsaugen oder Gehen, kontrolliere ich mich mittels Pulsuhr und mache Pause, sobald ich mich dieser Grenze nähere. Ich beginne, ein genaues Tagebuch zu führen.

Histaminarme Ernährung – nachdem ich immer wieder darüber lese, denke ich, dass es einen Versuch wert ist. Nach ca. drei Wochen histaminarmer Ernährung merke ich deutliche Verbesserungen.

Begleitende Psychotherapie – unerlässlich zur Stärkung des Selbstwertgefühls und zur Stabilisierung, Stichwort: Zuversicht; Mental Load loswerden, durchhalten;

Neurologe – Magnetresonanztomographie, Kernspintomographie, um Gehirntumor und MS ausschließen zu können

Internistin – Blutbilder, Herz-Ultraschall, Schilddrüsenuntersuchung, EKG und Belastungs-EKG, um andere Erkrankungen ausschließen zu können

Praktischer Arzt – Durchuntersuchung und Beantragung einer Reha

Viel eigenständige Recherche, welche Reha-Einrichtung die richtige ist, Telefonate, persönliche Besuche – sie bringen die Erfahrung, dass zu diesem Zeitpunkt die meisten Reha- und Kuranstalten ihr Programm noch nicht an Long Covid Patienten angepasst haben. Dazu die Erkenntnis, dass Psychosomatik als (zentraler) Therapieansatz in die falsche Richtung führt, was inzwischen als erwiesen gilt.

September 2021

Ersehnter Besuch beim Experten, der mir Antihistaminika sowie ein Statin verschreibt, mich umfassend aufklärt, viele weitere Tipps, Lösungsansätze und Hilfestellungen bereithält. Dazu gehören Maßnahmen, um den Kreislauf in Schwung zu bekommen,

Mitte Dezember2021 bis Anfang Februar 2022 sowie Mitte April bis Mitte Juli 2022

Ambulante Reha in der Therme Wien Med in zwei Phasen. Nach den ersten drei Wochen möchte ich abbrechen, da meine über den Sommer hart erkämpften Errungenschaften scheinbar zunichtegemacht werden – vor allem die Erschöpfung wird wieder schlimmer. Ich habe mehrere Crashs, also Zusammenbrüche, die mit Symptomen eines grippalen Infekts einhergehen und Muskelschwäche. Ein Gespräch mit der Reha-Ärztin gibt mir Hoffnung, ich mache weiter, halte durch und bezwinge die Krankheit.

Die Reha umfasst Atemmuskel-, Kraft- und Ausdauertraining, Gymnastik, Neurokognitive Übungen, Ergotherapie, Diätologie, Bio-Feedback, Psychologische Schulungen, Achtsamkeitsübungen und Entspannungstechniken, Gruppengespräche und Vorträge.

Der Alltag heute

Heute bestreite ich mein Leben mit dem Mastzellenaktivierungssyndrom MCAS und bewältige den Alltag mit Vollzeit-Job, Aktivitäten und Freizeitprogramm – und bin dankbar für das, was alles geht. Ich muss Diät halten, darauf achten, Histamin in der Ernährung nur in ganz geringen Mengen zu mir zu nehmen. Ich muss auf meine Routinen achten, die aus Atemübungen, Aktivität, Konditions- und Achtsamkeitstraining sowie Entspannungstechniken bestehen. Zur Unterstützung nehme ich täglich ein Statin, um den Blutfluss zu verbessern, Famotidin, ein Antihistaminikum, sowie Nahrungsergänzungsmittel. Ich muss mich immer wieder selbst ermahnen, dass die Krankheit ein Handicap ist und es Grenzen gibt.